Corona Kino
The »Corona Kino« project is an attempt to keep in touch with my friends and provide them with interesting and rarely shown films during the pandemic. Some of the films are in German and almost all have German or at least English subtitles. The respective programme has been sent to my mailing list at irregular intervals. On this page you will find both the links to the films and the short accompanying texts that I have written. Due to Vimeo's peculiar business policy, which allows one to submit films there without size restrictions, the programmes will presumably remain available even after the crisis. Since I do not have the rights to the featured films, this page is not public and is only intended for a small circle of friends. If you got the link to this page, feel free to share it with your friends. This is how »Corona Kino« itself goes viral. Check here for current updates and if needed use the wonderful DeepL service to translate the German text.
Corona Kino | Programm No 12: Gefühlsachterbahn
Nach einer längeren Pause geht das Corona-Kino ungebremst weiter. Die Gründe für die Fortsetzung sind wohlbekannt und so ist es besser sich ein wenig cineastischen Speck für die kommenden Kino-losen Monate an-zu-schauen. Die Sehnsucht nach dem Dunkel des Zuschauerraums ist auch das Grundmotiv der diesmaligen Auswahl, denn ich habe dafür drei der intensivsten Filmerlebnisse der kargen Saison 2020 ausgesucht. Ich weiß nicht, ob es auch am Grad meines Ausgehungert-Seins gelegen hat, aber diese Filme haben mich durch ihre visuelle Macht, ihre starken Stories und die wunderbaren Darsteller einfach umgehauen. Da sind junge RegisseurInnen am Hebel, die einen von der Hölle in den Himmel und wieder zurück katapultieren. Der eine, Burhan Qurbani, ist gerade mal vierzig und als Sohn afghanischer Flüchtlinge in Deutschland geboren. Céline Sciamma, ist 42 und Trey Edward Shults sogar erst 32. Alle drei schaffen es in ihren jeweils letzten Filmen, eine gestalterische Wucht zu erzeugen, die ich seit langem vermisst, beziehungsweise in dieser Form selten erlebt habe. Alle drei Filme haben Überlänge, aber das ist völlig egal, denn der erzählerische Sog und die Schönheit der Bilder lässt einen nicht mehr los. Auch noch lange nach dem Abspann bleiben die Bilder im Kopf und man hat tagelang nur den einen Wunsch, das alles nochmals ohne Kenntnis und Erinnerung, mit-erleben, mit-erleiden und mit-erspüren zu dürfen. OK, das klingt jetzt alles dick aufgetragen und ich kann mir auch vorstellen, dass einige das anders sehen. Kaltlassen wird dieses Programm aber niemanden. Dafür garantiere ich – allerdings übernehme ich aber auch keinerlei Verantwortung für etwaige emotionale Spätfolgen.
☆ Berlin Alexanderplatz
Burhan Qurbani, DE 2020
Spielfilm, 183 min, deutsche OF
1929: einer der gnadenlosesten Großstadtromane des 20ten Jahrhunderts erscheint. In der Folge drei Verfilmungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Nummer eins: Heinrich George als Franz Biberkopf. Proletarisches Kino vom Feinsten, aber der junge Tonfilm leidet 1931 noch an seinen Beschränkungen. 1980: die 14-teilige Fernsehserie von Rainer Werner Fassbinder ist nah am Roman, der so grobgeschnitzt nacherzählt wird, wie es nur Fassbinder kann. Dann 2020 völlig überraschend eine in Neonlicht getauchte Neuinterpretation. Aus Franz wird Francis – beide sind aus der Bahn geworfen Figuren am Rande der Gesellschaft, beide aus Elend und Krieg in eine moralisch verkommene Wirklichkeit zurück gespuckt. Das Vorbild ist ein entwurzelter Prolet, der im Heute zu einem an den Strand geschwemmten Migranten wird. Beides Außenseiter, beide auf der Suche nach Liebe und Glück. Das kann nicht gut gehen und wird es auch nicht. Welket Bungué als Francis/Franz ist unglaublich. Ich schwärme selten für Schauspieler, aber er trägt und hält die Geschichte zusammen bis zum bitteren Ende. Nicht minder brilliant ist Albrecht Schuch als diabolischer Verführer Reinhold, der so nahe an jedem menschlichen Abgründen entlang tänzelt, dass es einem schwindlig wird. Mit den Beiden betritt man eine Gegenwelt nach der anderen. Sie liegt gleich vor unserer Tür, im Berlin der 2020er Jahre. Als filmische Reverenz für dieses Delirium fällt mir nur der argentinischer Regisseur Gaspar Noé ein, der in seinen beiden völlig wahnsinnigen Filmen "Enter the Void" (2009) und "Climax" (2018) ähnlich nahe an der Hölle entlang geschrammt ist. Nichts für empfindsame Gemüter.
☆ Portrait de la jeune fille en feu
Céline Sciamma, FR 2019
Spielfilm, 119 min, franz. OF / engl. UT
Das ich im Kino bei jeder Gelegenheit heule, ist vielleicht schon mal aufgefallen. Meine Frau hingegen habe ich noch nie wegen eines Films weinen sehen. Bis zu diesem. Und die Geschichte, die hier fast ohne Dialoge vor der Kulisse der bretonischen Strände erzählt wird, ist tatsächlich zu tiefst ergreifend. Man getraut sich kaum zu atmen, um die sich langsam entspinnenden Liebesgeschichte nur ja nicht zu stören. Und als es dann diese eine Sekunde des Glücks gibt, ist man ganz still, damit sie nicht vergeht. Aber natürlich vergeht sie und der Zauber eines unmöglichen Augenblicks hängt einem tagelang nach. Dem Genre nach eine Love Story á la Jane Austen oder Charlotte Brontë bricht der Film mit ebenso vielen Klischees, wie er perpetuiert. In seiner unterkühlten Erzählweise erinnert er an Fassbinders völlig unterschätzten "Effie Briest", doch lodern hier die Flammen der unterdrückten Liebe höher und die verbotene Annäherung ist um vieles zärtlicher und intimer. Was die Geschichte außerdem von den Roman des 19ten Jahrhunderts unterscheidet ist das Ende, dass zwar ohne Drama auskommt, in seiner bürgerlichen Gefasstheit aber nicht nur das Herz der Protagonisten, sondern auch das der Zuschauer bricht. Taschentücher auf der Sofalehne sind anzuraten.
☆ Waves
Trey Edward Shults, US 2019
Spielfilm, 137 min, engl. OF
Ich will jetzt nicht die Handlung des Films nacherzählen, nur so viel: jede Einstellung, jede Szene dieses außergewöhnlichen Films ist so unabgenütz und frisch wie die Hoffnungen der handelnden Personen, des 18 jährigen Tyler und seiner jüngeren Schwester Emily, die gemeinsam mit ihren Eltern im gehobenen Mittelstand Miamis leben. Doch für diese gesellschaftliche Position hat der Vater ein Leben lang geschuftet – doppelt weil er Schwarzer ist. Der Vorwurf steht im Raum, dass die Kinder ihre Privilegien nicht zu schätzen wissen und es mit ihrer Gleichmut und Antriebslosigkeit niemals auch nur annähernd so weit bringen werden. Dieser dumpfe, aber stete Vorwurf bringt ein Unglück ins Rollen, das wie ein Naturkatastrophe bald das mühsam Geschaffene fast verwüsten wird und an der die Familie beinahe zerbricht. Der Film ist ein visueller Kraftakt, überwältigend, mitreißend, voller Zärtlichkeit, trügerischer Hoffnungen und zerborstener Träume. Ein vor Energie pulsierendes Melodram, dass an seinem brutalen und Bass-wummernden Tiefpunkt fast zum Stillstand kommt, um dann unerwartet die Tonart zu wechseln und einen anderen Blickwinkel einzunehmen, der leise und verzeihend ist.
Corona Kino | Programm No 11: X-Mas Special
Ich hoffe Dir und Deinen Lieben geht es gut! Anstatt auch nur ein Wort über die diesjährigen Besonderheiten zu verlieren, gibt es von mir heuer eine kleine und dumme, aber vielleicht auch passende ☆ Weihnachtsgabe zum Wiedersehen und Mitsingen für die ganze Familie. Wenn Du ein wenig mehr Zeit hast und / oder Dir der Weihnachtsfilm zu doof ist, dann gibt es auch noch eine etwas nachhaltigeres Zusatzgeschenk:
☆ L'Héritage de la chouette (Das Erbe der Eule)
"In seinem dreizehnteiligen Magnum Opus erforscht Chris Maker den Einfluss der griechischen Kultur auf die zeitgenössische Gesellschaft. Der dokumentarische Essay basiert auf der alten griechischen Tradition des symposion (von sympinein, "miteinander trinken"), bei dem sich Bürger nach einem Essen versammelten, um zu trinken und gemeinsam über Fragen des Staates zu diskutieren. Marker versammelt herausragende internationale Historiker, Philosophen, Politiker und Künstler, gibt ihnen Wein und Oliven und lässt sie dreizehn entscheidende griechische Konzepte besprechen. Dieses durchdringende "Erbe der Eule" steht heute in einem ganz neuen Licht und wird radikal hinterfragt. (J.M.)“
1. Symposium, oder Die überlieferten Ideen
2. Die olympische Idee, oder Das imaginäre Griechenland
3. Demokratie, oder Die Stadt der Träume
4. Nostalgie, oder Die unmögliche Wiederkehr
5. Amnesie, oder Der Lauf der Geschichte
6. Mathematik, oder Das Reich der Zeichen
7. Logomachie, oder Die Wörter des Stamms
8. Musik, oder Der innere Raum
9. Kosmogonie, oder Der Gebrauch der Welt
10. Mythologie, oder Die Wahrheit der Lüge
11. Misogynie, oder Die Fallen des Verlangens
Corona Kino | Programm No 10: Wütend
Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber mich machen die Bilder aus den USA sprachlos und wütend. Nicht, dass der Rest der Welt oder Österreich gerade so ein gutes Bild abgibt, aber dass es Amerika selbst im 21 Jahrhundert nicht schafft vom täglich praktizierten und systematische Rassismus abzulassen ist einfach unfassbar. Dieses Land, gebaut auf den Überzeugungen der europäischen Aufklärung, mit einer einst visionären Verfassung die auf den Idealen der Menschenrechte, der Vernunft und der Gleichheit fußt, scheint nun endgültig zum Selbstbedienungsladen rechter Demagogen und faschistischer Hassprediger verkommen zu sein. Trump erscheint vor dem Hintergrund der aktuellen Unruhen nur als ein ekelhaftes Symptom einer historischen Fehlkonzeption, die bis heute nicht verheilen will. Deshalb diesmal drei extrem harte Filme, die ohne jegliche Illusion und ohne purpurroten Weichzeichner den US-Rassismus in seiner nackten Brutalität zeigen.
☆ 13th
Ava DuVernay, US 2016
Dokumentation, 100 min, engl. OF
Diese Dokumentation lässt einem mit der einzigen Frage zurück: wirklich? So ist das also? Ich verstehe immer noch nicht, wieso dieser Oscar-nominierte Film keinen Bürgerkrieg ausgelöst hat. Die wundervolle Regisseurin Ava DuVernay hat zwei Jahre davor den berührenden und absolut sehenswerten Spielfilm »Selma« gemacht und sich damit als einfühlsame und intelligente schwarze Filmemacherin etabliert. »13th« hingegen ist ein knallhartes Röntgenbild des systematischen und menschenverachtenden Rassismus in den USA. Wenn man diese Doku anschaut fängt man an Michael Moore zu hassen. Dieser kleine blöde bleiche Wicht mit seinen beschissenen kleinen Erfolgsfilmchen, hat nicht einmal im Ansatz geschafft, was dieser wuchtige Film in den ersten drei Minuten raus knallt. Wer nach »13th« noch irgend eine Illusion von einer gerechten Welt hat, sollte professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Wer den Film ernst genommen hat, vielleicht auch.
☆ Bamboozled
Spike Lee, US 2000
Spielfilm, 132 min, engl. OF
Ein furioser Film, der nach dem berührend-versöhnlichen »She’s Gotta Have It“ (immer noch online im Programm No 2) den wütend-unversöhnlichen Kurs von »Do the Right Thing« ins bodenlose fortsetzt. Ich kann mich nicht erinnern, dass Spike Lees 16ter Film jemals regulär in den österreichischen Kinos gelaufen ist. Ich habe ihn erst Jahre später gesehen. Er ist das völlige Gegenteil eine feel-good-flicks, er ist zutiefst verstörend weil er etwas tut, dass man normalerweise nicht tut. Er verdreht die rassistische Hass-Spirale in einer derart grausamen Art, dass am Ende kein einfaches Opfer-Täter Spiel mehr übrig bleibt. Stattdessen zeigt er, wie Jeder und Alles unweigerlich daran kaputt geht. Eine wirklich harte und schmerzhaft desillusionierte Nummer. Kein Wunder, dass sich kein Verleiher dafür gefunden hat. Trotzdem 100% Empfehlung!
☆ White Dog
Samuel Fuller, US 1982
Spielfilm, 90 min,engl. OF
Als ich »White Dog« zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich, dass der Film in jeder Schule und in jeder Klasse gezeigt werden sollte. Wer danach noch nicht versteht wie Rassismus funktioniert, dem ist nicht mehr zu helfen Ein Film, den man nie wieder vergisst. 100% Sam-Fuller-Style: kerzengerade und ohne Schnörkel ins Zentrum des Alptraums. Gnadenlos wird hier gezeigt, wie das Böse nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist, wenn es sich einmal so tief in der Seele gefressen hat. Unbedingt ansehen, unbedingt teilen!
Corona Kino | Programm No 9: Das Neue Normal
Heute nur ein kurzes Vorwort, weil sich die Zeiten eben geändert haben. Die neue Normalität hat mir viel Zeit und Nerven gekostete und deshalb hat es auch lange gedauert, bis ich dieses neue Programm endlich zusammenstellen und ausschicken konnte. Die Wahrheit ist aber auch, dass ich bereits zwei andere Programme fertig hatte, die mir dann aber eigenartig deplatziert vorgekommen sind. Das eine sollte "Schöne, schwere Jugend" heißen und das Erwachsenwerden zum Thema haben – und das gibt filmisch ja einiges her! Das zweite Programm war etwas verschroben und ich werde Dir diese Filme sicher auch noch mal schicken, weil sie so wunderbar sind. Irgendwie ging es dabei um Engländer in Amerika und das vergnügen in einem Beerdigungsinstitut zu arbeiten.
Jetzt habe ich mich aber für etwas völlig anderes entschieden. Schuld war ein Artikel im Spiegel zu 50 Jahre RAF. Ich habe dazu sehr prägende Bilder aus meiner Kindheit im Kopf. Hanns Martin Schleyer im Unterhemd mit dem Schild vor der Brust. Darüber das RAF Logo mit der Maschinenpistole. Ich war damals gerade 10, aber ich habe schon kapiert, dass da etwas Außergewöhnliches passiert – so wie die Zehnjährigen, die letztes Jahr das Ibiza-Video gesehen haben. Die Fernsehbilder schienen mir damals übermächtig und die Schlagzeilen hingen wie schwarze Wolken wochenlang über der Stadt. Wie auch immer. Diese RAF also, hat mich interessiert, weil ich nur gespürt und nicht verstanden habe, was sie durcheindaer bringt und was da passiert. Dann die Fotos von den Toten in Stammheim. Kein Wunder, dass Gerhard Richter diese Bilder abgemalt hat – in meinem Kinderkopf waren sie auch als gruselige Schatten festgebrannt.
Ich erzähle das alles, weil ich nicht den Eindruck erwecken möchte, hier Agitprop-Kino für eine politische Sachen machen zu wollen. Ich denke aber trotzdem, dass ein Blick zurück gerade jetzt ganz wichtig ist, weil damals Werte verhandelt wurden, die uns unter dem Vorwand der Krisenbewältigung vielleicht morgen schon sang-und-klanglos unter dem Hintern weggezogen werden. In diesem Sinne diesmal also eine Art Geschichtsunterricht mit Zeigefinger. Oder: Home-Schooling in Sachen Revolution! Und mal sehen, wie es mit dem Corona Kino weitergeht, jetzt wo die "echten" Kinos wieder aufsperren"
☆ Der Baader Meinhof Komplex (Uli Edel, 2008)
Ein Film für RAF-Beginner. Sauberes Westkino von Uli Edel und Bernd Eichinger. Schritt für Schritt wird erzählt, wie sich ein loser Haufen von Studenten, Aktivisten und Intellektuellen zunehmend – und der Dramaturgie entsprechende, fast zwangsläufig - radikalisieren. Das WHO-IS-WHO der deutschen Schauspieler-Zunft reicht sich hier den Joint weiter und es fehlt auch nicht an augenzwinkernden Humor. Das alles aber besser nicht auf die weltanschauliche Waage legen - da schneidet der "Komplex" gegenüber den anderen Filmen dieses Programms als ein wenig untergewichtig ab.
☆ Die Dritte Generation (Rainer Werner Fassbinder, 1979)
Dieser selten gezeigte Fassbinder-Film ist anstrengend und will anstrengend sein. Aber er erscheint mir gerade deshalb und jetzt als ein relevanter Kommentar auf die herrschenden Machtverhältnisse, weil er danach fragt, wie sie sich diese selbst aus der der menschen Angst erschaffen. Die nicht näher benannte Berliner Terrorzelle besteht aus eine Gruppe gutbürgerlicher Spinner und Milchbubis. Und auch die Frauen, die scheinbar viel cooler und härter als ihre Männer sind, erweisen sich letztlich als verlorene Figuren. Fassbinder sagt, dass die Dritte Generation jene Generation ist, für die die Revolution nur noch hohle Pose und Selbstzweck ist. Ein kindisches Abenteuer also, bei dem man sich schon mal in die Hose macht. Das Ende, ist so schaurig absurd-schön, dass es die eine oder andere verquatschte Plansequenz völlig gerechtfertigt und vergessen macht. Die Entführung eines Industriellen wird zur Clown-Nummer, die 15 Jahre danach schamlos in "Die verrückte Entführung der Mrs Stone" nachgestellt wurde. Der Soundtrack ist ebenfalls bemerkenswert, trägt er doch zum guten Teil zur völlig hysterischen Grundstimmung bei. Und nie zu vor gesehen: Udo Kier, blutjung und völlig un-diabolisch mit Schneckerl-Frisur.
☆ Die Stille nach dem Schuss (Volker Schlöndorff, 2000)
Ich habe den Film als sehr berührend in Erinnerung und möchte ihn selbst gerne nochmals sehen. Er ist so etwas wie die Deutsch-Deutsche Version des asiatischen Spruchs: "Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, sie könnten in Erfüllung gehen." Eine Gruppe von Ex-Terroristen aus der BRD suchen nach einem von ihnen verübten Polizistenmord um Exil in der DDR an. Die Stasi ist nicht besonders überzeugt von der ideologisches Belastbarkeit ihrer neuen Volksgenossen, läßt sie aber trotzdem mit geändertem Namen im grauen Alltag des Arbeiter und Bauernstaates untertauchen. Schlöndorff zeichnet vor allem die Geschichte von Rita nach, die an diesem Leben beinahe zerbricht. Davor zerbricht aber der ganz und gar nicht goldene Käfig, in dem sie sich selbst weggesperrt hat. Das Berührende an diesem Film ist die verzweifelte Suche nach Nähe und Vertrauen, die immer und wieder an den Lügen der Vergangenheit und der Kälte des Systems scheitert. In dem die Reise fast unmerklich vom Politischen immer tiefer ins Private und Intime führt, treffen die Verletzungen doppelt hart. Und am Ende weiß man gar nicht mehr, wofür am Anfang gekämpft wurde. Der Film endet in einem zutiefst sinnlosen Akt, ohne jedoch jemals trübselig oder pathetisch geworden zu sein.
☆ Die innere Sicherheit (Christian Petzold, 2000)
Gemeinsam mit "Yella" und „Gespenster“ zählt "Die innere Sicherheit" zur sogenannte „Gespenster-Trilogie“. Die Gespenster in diesem Fall sind: (a) die Vergangenheit und (b) die Kleinstfamilie, die davor zu flüchten versucht. Die Eltern, Ex-Terroristen, zwingen ihrer 15 jährigen Tochter Jeanne einer paranoiden Dauer-Flucht auf, in der es keinen Kontakt, keine Haftung, kein Verbleiben geben darf. Ein sehr stiller Film, der fast ausschließlich aus der Perspektive Jeannes erzählt wird und fast alle Details der elterlichen Wirklichkeit ausblendet. Zurück bleibt ein leerer Raum, den es mit Träumen zu füllen gilt. Wie alle Filme von Christian Petzold ist auch dieser in sparsame, aber kraftvollen Tableaus unterteilt, in denen die Geschichte erbarmungslos langsam und in tragödischer Unausweichlichkeit abläuft. Was vielleicht mühsam klingt, ist es nicht.
☆ Une jeunesse allemande (Jean-Gabriel Périot, 2015)
Ich habe lange überlegt, ob ich diese französische Dokumentation ins Programm nehmen soll. Ich hatte Zweifel, weil ich den Film nur in der französischen Fassung habe und weil er auf eine diffuse Art tendenziös ist ohne dass man wirklich versteht wozu. Oder vielleicht ist es auch nur mir so gegangen, als ich ihn vor ein paar Jahren bei der Berlinale gesehen habe. Ich habe ihn jetzt doch mit hinein genommen, weil er über weitere Strecken deutsches Archivmaterial zeigt, dass man in dieser Dichte selten zu sehen bekommt. Was mich vor allem beeindruckt hat sind die Fernsehdiskussionen mit Ulrike Meinhof. Die Präzision und der Scharfsinn ihrer Argumente läßt einem daran verzweifeln, dass heute solche Menschen scheinbar nicht mehr vor die Kamera treten wollen. Die übrigen Materialien sind eine gute Ergänzung und Hintergrund für die anderen Filme des Programms. Reinsehen lohnt sich also jedenfalls und man braucht auch kein Französisch können!
Corona Kino | Programm No 8: Seltsame Zeiten, seltsame Welten
Bald wird eine findige Generation von FilmtheoretikerInnen Ihre Dissertationen über jene eigenwilligen amerikanische Filmen schreiben, die irgendwann in den 1990ern und 2000er Jahre scheinbar ohne Vorbild und Vorwarnung in die Kinos kamen und die – zumindest heute noch – keinem eindeutigen Genre zuzuordnen sind. Intellektuelle Hirnakrobatik, geschrieben und inszeniert von exzentrischen Skript-Genies, die es dann auch noch geschafft haben die Créme de la Créme der internationalen SchauspielerInnen einzureden für dürftige Gagen bei diesem Wahnsinn mitzumachen. Ich kann den Finger nicht genau drauflegen, aber irgendwie hat das alles entweder schon 1991 mit „Barton Fink“ oder erst 1999 mit „Being John Malkovich“ angefangen. Trotz meiner einschlägigen Vorbildung (Lynch, Cronenberg, Jodorowsky, Trier usw.) war mir schon damals klar, dass dieser Film aus einer ganz anderen Ecke kamen. Der wesentliche Unterschied zu den Meistern des Abgründigen war der anarchische und hemmungslos leuchtende Witz, der die wirkliche Wirklichkeit in ihr jämmerliches Schattenreich verwies. Diese funkelnden psychedelischen Gegenentwürfe hingegen waren eine Mischung aus Kafka und Marx Brothers auf LSD: ein Trip – ein Feuerwerk synaptischer Kurzschlüsse! Ähnlichkeiten mit der momentanen Situation sind unbeabsichtigt, aber wohl unvermeidlich.
☆ I Heart Huckabees
David O Russell, US 2005
Spielfilm, 106 min, Engl. OV
Das Lexikon des internationalen Films bezeichnete den Film damals als dialektischen Komödie - ich würde eher sagen es handelt sich dabei um eine Gratwanderung zwischen Klamauk, neurotischem Größenwahn und einer aus dem Ruder gelaufener Psychotherapie. Wie auch immer - eine Orgie an schlagfertigen Dialogen und unerwarteten Wendungen. Es brillieren: Jason Schwartzman (mein Wes Anderson alter ego Max Fischer!), Isabelle Huppert, Dustin Hoffman, Jude Law, Mark Wahlberg und Naomi Watts. Die Handlung ist tatsächlich kaum sinnvoll wieder zu geben - aber wozu auch?
☆ Stranger Than Fiction
Marc Forster, US 2006
Spielfilm, 113 min, Engl. OV
Einer der wunderbarsten Filme, den ich kenne. All jene, die selbst Filme machen oder Bücher schreiben (oder beides) sollten ihn auswendig kennen, da er das Verhältnis zwischen Autor und Protagonist in bizarrer Weise durcheinander bringt. Dustin Hoffman in seiner vielleicht besten Rolle als Literaturwissenschaftler, der einer Romanfigur erklären muss, dass sie aus dramaturgischen Gründen wohl im nächsten Kapitel sterben wird. Next level solipsism!
☆ Synecdoche, New York
Charlie Kaufman, US 2008
Spielfilm, 123 min, Engl. OV
Wenn ich die fünf sperrigsten und eigenwilligsten Filme aufzählen müsste, die ich je gesehen habe – dieser wäre sicherlich dabei. Die Psychologie hat sicherlich einen Fachausdruck dafür, ich kann nur improvisieren. Irgendwie geht es darum das Trauma der eigenen Existenz durch ewige Wiederholung und Inszenierung von sich fern zu halten. Heilung durch Ästhetik, Abspaltung und Imitation. Doch so viele Versionen seines Selbst kann man gar nicht erschaffen, dass man am Ende des Tages nicht doch als das Häuflein Elend aus der Tür wankt, dass man schon ganz zu Beginn war. Man sagt ja, dass Franz Kafka beim Vorlesen seiner eigenen Werk immer wieder aussetzten musste, weil er sich vor Lachen nicht mehr halten konnte. So ähnlich funktioniert dieser Film.
Corona Kino | Programm No 7: Late Night, Triple Feature, Picture Show
Drei Filme in denen die Gäste unfreiwillig eine Nacht lang eingesperrt sind um eine Mordfall zu lösen. Der erste Film beginnt mit der Suche nach Eddie, dem missratenen Neffen des Professors Dr. Everett Scott. Der Fall ist schnell geklärt, doch es stellt sich bald heraus, dass Eddies Tod nur ein Puzzleteil eines noch viel schrägeren Plots ist, in dessen schillernden Mittelpunkt der wunderbar verdorbene Dr. Frank N. Furter steht. Der zweite Film wird Dir vielleicht unter dem deutschen Verleihtitel "Eine Leiche zum Dessert" als Dauer-Reprise des ORFs noch in Erinnerung sein. Meiner Meinung nach einer der lustigsten und absurdesten Detektiv-Stories der Filmgeschichte - und das mit dem absurdesten Bösewicht aller Zeiten: dem amerikanischen Schriftsteller Truman Capote, der seinerseits mit einem Mordfall weltberühmt (In cold Blood) und mit "Breakfast at Tiffany's" unsterblich wurde. Last but, not least ein Film, der aktueller nicht sein könnte. Eine Wiener Familie findet sich für eine Nacht in ihrem eigenen Haus eingesperrt und wird mit seiner eigenen unaufgearbeiteten Geschichte konfrontiert. Wie sich zeigt ist niemand ohne Schuld und die Leichen im Keller bahnen sich gnadenlos ihren Weg in den gutbürgerlichen Solon. Homeschooling in Sachen Vergangenheitsbewältigung der anderen Art!
☆ The Rocky Horror Picture Show (Jim Sharman, US 1975)
Spielfilm, 101 min, Engl. OV
Ich weiß nicht mehr, wie oft ich den Film im Kino gesehen habe. Dreißig mal ist aber eine recht realistische Schätzung. Die „Rocky Horror Picture Show“ lief in den 1980ern mehr oder minder non stop im DeFrance Kino und wir haben regelmäßig die Schule geschwänzt um dort vollmundig die Songtexte mit zu singen und in den wenigen Pausen in den unterschiedlichsten Kombinationen zu schmusen. Dann gab’s 1984 auch noch die ver-wienerischte Theater Inszenierung im Schauspielhaus mit Erich Schleyer als Dr Frank N. Furter und Alexander Goebel als Riff Raff. Da war ich udn meine Cousin Tommy auch gefühlte fünf mal. Dann vorletzten Sommer ein sing-along in der Arena gemeinsam mit Kathi, mit der ich auch schon mal bei einer privaten „Rocky Horror“-Party als Janet Weiss und Brad Majors aufgetreten bin (niemand fand das besonders einfallsreich, bis auf uns). Wie auch immer: Ich kann immer noch jede einzelne Strophe und jeden Dialogsatz auswendig. Meine liebste Zeile: And crawling on the planet's face | Some insects called the human race | Lost in time, and lost in space…
☆ Murder by Death (Robert Moore, US 1976)
Spielfilm, 94 min, Engl. OV
Noch ein Film, den ich zig-mal gesehen habe und auswendig kenne. Ich bin nicht sicher, ob die deutsche Fassung, in der ich "Eine Leiche zum Dessert" zuerst gesehen habe, oder die englische Originalfassung lustiger ist – das ist aber eigentlich völlig gleichgültig, weil man nach drei Minuten so oder so süchtig ist, wie nach dem ersten Zug aus einer Crack-Pfeife. Ich verstehe immer noch nicht, wie man sich so eine absurde Geschichte ausdenken kann und wie man so viele Weltstars dazu verpflichten konnte sich öffentlich zu Idioten machen. Das Ergebnis ist jedenfalls unübertroffen und sollte als Weltkulturerbe geschützt werden. Auch hier der Lieblings-Dialog:
Thanks. You are?
-Bensonmum.
Thank you, Benson.
- Bensonmum. My name is Bensonmum.
Bensonmum?
-Yes, sir. Jamesir Bensonmum.
Jamesir?
-Yes, sir.
Jamesir Bensonmum?
-Yes, sir.
-How odd.
-My father's name, sir.
What was your father's name?
-Howard Bensonmum.
☆ Die Nacht der 1.000 Stunden (Virgil Widrich, AT/NL/LUX 2016)
Spielfilm, 92 min, deutsche OV
Der Film fängt an wie „Die liebe Familie“, die dreizehn Jahre (1980–1993) und 384 Folgen lang über die heimischen Bildschirme flimmerte. Doch schon recht bald gerät alles aus den Fugen und im Familienverband tun sich hässliche Wunden auf - im Jetzt und in der Vergangenheit. Wie ein vererbter genetischer Schaden tauchen da und dort braune Flecken auf: Nazi-Scheiße klebt an den Sohlen der Geister, die leise durch die Gänge des großbürgerlichen Palais schleichen. Ein Mord und vermeintlicher Inzest runden dieses zutiefst österreichischen Familien-Portrait ab. Und auch hier ein Zitat nach Berthold Brecht: "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" - hoffentlich …
Corona Kino | Programm No 6: Line Up
Diesmal gibt es 286 Minuten Musik vom Besten. Drei Konzert-Filme aus drei Jahrzehnten, die ähnlicher und unterschiedlicher nicht sein könnten. Ähnlich, weil sie nach dem altbewährten Schema des Line-Ups funktionieren. Unterschiedlich, weil sie ein extrem diverses Spektrum von Musik abdecken. Ich hoffe, es ist auch für Dich etwas dabei. "Jazz On A Summer's Day" ist außerdem eine schöne Erinnerung an mein Geburtstagsfest im Stadtkino, bei dem Du vielleicht auch dabei warst! Ich träume jede Nacht von der nächsten Tanzparty! Und da hatte der gute Friedrich schon recht: Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.
☆ Jazz On A Summer's Day (Bert Stern, US 1959)
Dokumentation, 85 min, Engl. OV
Jimmy Giuffre 3: Jimmy Giuffre, Bob Brookmeyer, Jim Hall
Thelonious Monk Trio: Thelonious Monk, Henry Grimes, Roy Haynes
Sonny Stitt and Sal Salvador
Anita O’Day
George Shearing
Dinah Washington
Gerry Mulligan Quartet with Art Farmer
Big Maybelle
Chuck Berry
Chico Hamilton Quintet
Louis Armstrong and his All-Stars: Trummy Young, Danny Barcelona, and Jack Teagarden
Mahalia Jackson
Ray Charles
☆ Monterey Pop (D. A. Pennebaker, US 1968)
Dokumentation, 79 min, Engl. OV
Scott McKenzie – "San Francisco (Be Sure to Wear Flowers in Your Hair)"*
The Mamas & the Papas – "Creeque Alley"* and "California Dreamin'"
Canned Heat – "Rollin' and Tumblin'"
Simon & Garfunkel – "The 59th Street Bridge Song (Feelin' Groovy)"
Hugh Masekela – "Bajabula Bonke (The Healing Song)"
Jefferson Airplane – "High Flying Bird" and "Today"
Big Brother and the Holding Company – "Ball and Chain"
Eric Burdon & The Animals – "Paint It Black"
The Who – "My Generation"
Country Joe and the Fish – "Section 43"
Otis Redding (backed by Booker T. & the M.G.'s) – "Shake" and "I've Been Loving You Too Long"[2]
The Jimi Hendrix Experience – "Wild Thing"
The Mamas & the Papas – "Got a Feelin'"
Ravi Shankar – "Dhun" ("Dadra and Fast Teental") (mistitled as "Raga Bhimpalasi")
☆ Urgh - A Music War (Derek Burbidge, UK 1981)
Dokumentation, 122 min, Engl. OV
The Police – "Driven to Tears"
Wall of Voodoo – "Back in Flesh"
Toyah Willcox – "Danced"
John Cooper Clarke – "Health Fanatic"
Orchestral Manoeuvres in the Dark – "Enola Gay"
Chelsea – "I'm on Fire"
Oingo Boingo – "Ain't This the Life"
Echo & the Bunnymen – "The Puppet"
Jools Holland – "Foolish I Know"
XTC – "Respectable Street"
Klaus Nomi – "Total Eclipse"
Athletico Spizz 80 – "Clocks Are Big; Machines Are Heavy/Where's Captain Kirk?"
The Go-Go's – "We Got the Beat"
Dead Kennedys – "Bleed for Me"
Steel Pulse – "Ku Klux Klan"
Gary Numan – "Down in the Park"
Joan Jett and the Blackhearts – "Bad Reputation"
Magazine – "Model Worker"
Surf Punks – "My Beach"
The Members – "Offshore Banking Business"
Au Pairs – "Come Again"
The Cramps – "Tear It Up"
Invisible Sex – "Valium"
Pere Ubu – "Birdies"
Devo – "Uncontrollable Urge"
The Alley Cats – "Nothing Means Nothing Anymore"
John Otway – "Cheryl's Going Home"
Gang of Four – "He'd Send in the Army"
999 – "Homicide"
The Fleshtones – "Shadowline"
X – "Beyond and Back"
Skafish – "Sign of the Cross"
Splodgenessabounds – "Two Little Boys"
UB40 – "Madame Medusa"
The Police – "Roxanne"
The Police – "So Lonely"
Klaus Nomi – "Aria" ("Mon cœur s'ouvre à ta voix" from Camille Saint-Saëns' opera Samson and Delilah)
Corona Kino | Programm No 5: Creatures of the Night
Nach einer kleine Pause zwei Vampir-Filme der anderen Art zum neu Entdecken oder Wiedersehen. Wieso sie so anders sind? Weil in beiden die Liebe siegt – und das ist sehr tröstlich und schön und (k)ein bißchen gruselig. Dazu die abendliche Cocktail Empfehlung: Bloody Mary (virgin or not!)!
☆ Near Dark (Kathrin Bigelow, US 1987)
Spielfim, 94 min, Engl. OV
"Near Dark" war nach "The Loveless" (1981) der zweite Film der Oscar prämierten Regisseurin Kathryn Bigelow, die auch Co-Autorin des Drehbuchs war. Ich habe mir den Film damals fünf mal nacheinander in der Stöbergasse angeschaut weil er eine Art von Genre-Cross-Over war, das mir bis dahin völlig unbekannt war. Aber ich war ja auch erst 20 Jahre alt und ein hoffnungsloser Romantiker. Vampire in Texas? Halb Road Movie, halb Western und dann die magische Anfangssequenz mit der Gelse, die sich in Großaufnahme mit Blut vollsaugt, gefolgt vom wortkargen Dialog zwischen Caleb und Mae. Er: „Can I have a bite?“ Sie: „A bite?“ - das erzählt ja schon fast alles und man weiß gleich: das ist die große Liebe! Ich habe mich seither nicht mehr getraut den Film nochmals anzusehen, weil meine Erinnerung daran vielleicht großartiger ist, als er in Wirklichkeit ist. So hoffe ich, dass er gut gealtert ist und seinen herben Zauber behalten hat. Rolling Stone schrieb damals: „it’s gory and gorgeous“ - was kann dem noch hinzufügen?
☆ Let The Right One In (Tomas Alfredson, SE 2008)
Spielfilm, 114 min, Schwedische OV, Engl. UT (zuschaltbar)
Ich habe den Film damals im Gartenbau Kino gesehen und bin sofort in die nächste Vorstelllung gegangen um ihn nochmals anzuschauen. Und dann später nochmals, als er im Double-Feature mit Abel Ferraras "The Addiction“ lief – danke nochmals Norman für diesen völlig wahnsinnigen Abend! Ohne hier Werner Herzog paraphrasieren zu wollen, kann man sagen, dass dieser Film einem in die Knochen fährt und man ihn nie wieder vergisst. Fremdartig schön die Bilder und die Geschichte. Vampire im Schnee. Verirrte Kinder, die nicht ausbrechen können aus dem Gefängns ihres Körpers und die ihre widersprüchlichen sexuellen Gefühle für einander weder aussprechen, noch unterdrücken können. Seit Jacques Tourneurs „Cat People“ (1942) und dem traumhaften Sequel "The Curse of the Cat People“ (1944) hat kein anderer Film eine ähnliche Gratwanderung gewagt und dabei so eine poetischen und verstörenden Eindruck hinterlassen. Ein dunkles Meisterwerk, das seines Gleichen sucht. 100 Punkte, absolute Empfehlung!
Corona Kino | Programm No 4: Die Liebe muss neu erfunden werden
Heute gibt es eine kleine Auswahl an Filmen, die sich aus dem Fenster lehnen und auf Konventionen scheißen. Filme von Frauen, die anders denken, anders handeln und dem Mainstream in seine Grenzen verweisen.
I love it – I hope you love it, too!
☆ Slug Life (Sophie Koko Gate, UK 2018)
Animation, 6:30 min, Engl. OV
Ein Tag im Leben von Tanya, die eine Vorliebe für nicht-menschliche Liebhaber hat. Diesmal erschafft sie in einem ihrer Schlafzimmerexperimente eine sprechende Sex-Schnecke. Hat sie damit endlich den Weg zur totalen Befriedigung gefunden?
☆ Réponse de femmes: Notre corps, notre sexe (Agnes Varda, FR 1975)
Kurzfilm, 7:50 min, Franz. OV, Engl. UT (zuschaltbar)
1975 bat der französische Sender Antenne 2 sieben Regisseurinnen, die Frage "Was ist eine Frau?" in sieben Minuten zu beantworten. Agnès Varda erwidert mit einem Film in dem Frauen über Sex, Lust, Werbung und Kinder sprechen. Sie prangern die Bedingungen an, die ihnen von Kindheit an durch eine männlich dominierte Gesellschaft auferlegt wurden und fordern das Recht, als Individuen mit eigenen Rechten und Wünschen wahrgenommen zu werden. Ein liebevolles Statement, das Schuldzuweisungen vermeidet indem es den Dialog sucht.
☆ Town Bloody Hall (Chris Hegedus and D. A. Pennebaker, US 1971)
Dokumentation, 82 min, Engl. OV
Der Film wurde am 30. April 1971 im Rathaus von New York City aufgenommen. Er dokumentiert eine Podiumsdiskussion zwischen Aktivistinnen der Frauenbewegung – allen voran Germaine Greer – und dem Autor Norman Mailer, dem Autor des Buches „The Prisoner of Sex“. Die Aufzeichnung der Debatte ist eine lebendige und überraschend humorvolle Dokumentation feministischer Geschichte in der die Grenzen der Geschlechter scheinbar noch als spielerisch und durchlässig gedacht werden konnten – ein Intellektueller Schlagaustausch auf Augenhöhe.
Corona Kino | Programm No 3: Arbeitsbedingungen
Zum Wocheanfang zwei starke Filme über präkere Arbeitsbedingungen. Der erste ein sprödes Filmgedicht, dass sich in den exotisch wirkenden Fachausdrücken der Hafenarbeiter verliert. Ein Nachruf an eine beinahe schon vergessene Zeit, in der der Hafen noch ein Hoffnungsort war Tor zu einer besseren Welt. Der zweite Film beantwortet die Frage, ob es ein richtiges Leben im Falschen gibt leise, aber bestimmt mit "Ja". Ohne Schnörkel wird die Geschichte des Teenagers Igor erzählt, der tagtäglich das Unrecht mitansieht, dass sein Vater mitverantwortet. Bis zu jenem Tag, an dem es ihn auf einmal etwas angeht und er Partei ergreifen muss. Eine zutiefts humanistische Geschichte, erzählt mit wenig Worten.
☆ Tag eines unständigen Hafenarbeiters (Leonore Mau, Hubert Fichte, BRD 1966)
Fotofilm, 13 min, deutsche OV
Prosaisch erzählt der Film den Tageslauf eines nicht fest angestellten Arbeiters und seiner Familie im Hamburger Hafenmilieu. Der vom WDR produzierte Film besteht aus Schwarzweißfotografien von Leonore Mau und drei kurzen Bewegtbildsequenzen. Der Kommentartext greift die Sprache der Hafenarbeiter auf, die Hubert Fichte in der Hamburger Kellerkneipe Die Palette kennengelernt und später in seinem gleichnamigen Roman verarbeitete hatte. Fichte und Mau lebten und arbeiteten ab 1962 zusammen; die dabei entstandenen Fotofilme sind kaum bekannte Schätze westdeutscher Fernsehgeschichte.
☆ La Promesse (Jean-Pierre und Luc Dardenne, B 1996)
Spielfilm, 94min, franz OV, engl UT (zuschaltbar)
Wie selten es ist, dass man im Kino einfach nur zusehen kann, wie die Menschen arbeiten, daran erinnert La Promesse zuerst: Wie die Menschen sich bewegen, wie sie miteinander und mit sich selbst umgehen, wenn die Tage nicht speziell, sondern wie alle Tage sind. Den Helden des Films, den jungen Igor, lernt man hier kennen, indem man ihn beim Tanken, beim Stehlen, beim Schweißen und beim Bauen zusieht: bei Aktivitäten die sein Leben, sein Über leben - in der materiellen und physischen Abhängigkeit - definieren. Bilder von der anderen, der eigentlichen Arbeit Igors folgen wenig später, nach einer kurzen Autofahrt durch Liège, eine unwirtliche belgische Stadt aus Beton und altem Metall, über der das Grau und die Kälte liegen: Mit seinem Vater Roger holt er eine Gruppe illegaler Immigranten ab, denen man gegen viel Geld eine neue Heimat und eine passable Wohnung versprochen hat. Was sie kriegen, sind Zellen eines desolaten Hauses. (...) Luc und Jean-Pierre Dardenne arbeiten seit gut zwanzig Jahren an dokumentarischen Bildern und Tönen. Sichtbar jedenfalls sind in ihrer Arbeit die Spuren des Dokumentarischen geblieben, das sie auch im Fiktiven nicht aus den Augen lassen: La Promesse ist als geschriebener und gespielter Film entstanden, aber in ihm verschwindet das Wirkliche nicht vollständig hinter dem Erfundenen. Es ist, als ob es in diesem Film zwei Visionen gäbe, die man solange übereinander gelegt und gegeneinander verschoben hat, bis sie annähernd ununterscheidbar geworden sind: Die Vision eines Dramas, wie es sich zutragen könnte (im richtigen Leben), und die Vision eines Milieus, wie es real existiert. (...) Luc und Jean-Pierre Dardenne erzählen die Dinge nur halb - und sprechen dabei doch unablässig über die ganze Sache. Die Unmenschlichkeit, das stellt La Promesse klar, ist - wie die Wirklichkeit an sich - nur so zu behandeln und nachzustellen: mit kühlem Blick, in der Zertrümmerung des Anspruchs auf psychologische Vollständigkeit. (Stefan Grissemann, Stadtkino-Programm Nr. 311)
Corona Kino | Programm No 2: Liebe in den 80ern
Hier kommt das Wochenend-Double-Feature des Corona Kinos. Zwei bezaubernde Filme aus den 80er Jahren, die beide für eine Form des gesellschaftlichen Aufbruchs stehen, der damals auf einmal denkbar wurde. Filme, die mich persönlich sehr berührt haben und die heute noch berühren, weil sie eine Form von Unschuld in sich tragen, die man hochtrabend vielleicht auch als utopisch bezeichnen könnte. Damit tut man aber den liebevoll gezeichneten Figuren und den intimen Geschichten unrecht, in denen sie sich bewegen und wieder finden. Das Private ist darin politisch - aber ohne Pathos und ohne dass die Politik unter die Bettdecke gelassen wird. Zu diesem Thema gibt es andere Filme, die auch irgendwann noch auf dem Programm stehen werden…
☆ She's Gotta Have It (Spike Lee, 1986)
Spielfilm, 90min, Engl. OV
Der erste Spielfilm von Spike Lee - damals gerade 29 Jahre alt - der aus Brooklyn kommend zum Welterfolg wurde. Mit einem Budget von 175.000 Dollar drehte er den Film in nur zwei Wochen. Allein an den amerikanischen Kinokassen brachte er über 7 Millionen Dollar ein und machte Lee über Nacht zu einer Identifikationsfigur eines neuen schwarzen Selbstbewusstseins. Nola Darling jongliert mit ihren drei Verehrern: mit dem höflichen und wohlmeinenden Jamie Overstreet, dem selbstbesessenen Greer Childs und dem unreifen Mars Blackmon. Nola fühlt sich vom Besten in jedem von ihnen angezogen, aber sie will sich nicht auf einen von ihnen festzulegen. Sie schätzt stattdessen ihre persönliche Freiheit, während jeder der Männer sie nur für sich selbst haben will.
☆ My Beautiful Laundrette (Stephen Frears, 1985)
Spielfilm, 98min, Engl. OV
Nach seinem Regiedebüt »Gumshoe« (1971) erlangte Stephen Frears zweiter Film »My Beautiful Laundrette« international unerwartet große Aufmerksamkeit. Der Film, der auf dem Drehbuch von Hanif Kureishi basiert und auf 16-mm-Film gedreht wurde, kam 1985 mit großem Erfolg in die Kinos. Er erhielt eine Nominierung für den Oscar und zwei Nominierungen für den BAFTA. Die Geschichte spielt in London der 80er Jahre während der Thatcher-Jahre, was sich in den komplexen und oft komischen Beziehungen zwischen pakistanischen und der englischen Community widerspiegelt. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Omar und sein alter Kumpel Johnny, die unerwartet Geschäftsführer eines Waschsalons werden. Außer schmutziger Wäsche geht es in »My Beautiful Laundrette« aber hauptsächlich um eine (beinahe) unmögliche Liebe, die Rassen-, Standes- und Geschlechtergrenzen leichtfüßig überwindet.
Corona Kino | Programm No 1: Fotografische Erinnerungen
Hiermit startet mein kleiner Beitrag zum teilweise entschleunigten Alltag: das Corona Kino. In den folgenden Wochen möchte ich für Dich und alle meine anderen Freunde selten gespielte und/oder interessante Filme zeigen um damit den Wegfall der Wiener Kinos ein wenig auszugleichen. Es gibt zurzeit einige solcher Innovativen, wie zB von der Medienwerkstatt, Kinoki oder sixpackfilm. Ich werde in meinen zukünftigen Mails versuchen jeweils auch auf diese Möglichkeiten hinzuweisen und bin für Tipps und Hinweise dankbar, die ich dann an alle verteilen kann. Das Corona Kino ist das eine rein private Initiative und ich bin selbstverständlich nicht der Rechteinhaber dieser Inhalte. In diesem ersten Programm geht es um Fotografie und Gedächtnis – ein Thema mit dem ich mich schon länger beschäftige und für das es auch ein paar sehr schöne Filmbeispiele gibt, von denen ich diesmal drei vorstellen bzw. zeigen möchte:
☆ Ulysse (Agnès Varda, 1982)
Kurzfilm 22min, Franz. OV/UT
»Ulysse« ist ein zauberhafter und unaufgeregter Film, der die Evidenz eines Fotos in Frage stellt. Die Fotografin und Filmemacherin Agnès Varda (1928-2019) besucht darin die Protagonisten eines Bildes, das sie vor 28 Jahren gemacht hat. Die Erinnerungen an die Aufnahme und an das Bild selber lebt sowohl in den Abgebildeten, wie auch in der Fotografin in völlig unterschiedlicher Art weiter.
☆ Remains / Omokage (Maki Satake, 2010)
Kurzfilm, 6min, kein Dialog
Die japanischen Experimentalfilmerin Maki Satake (*1980) erforscht in diesem sehr persönlichen Film den fotografischen Nachlass ihres Großvaters und begegnet sich dabei in seinen Bildern wieder. Eine filmische Spurensuche im wahrsten Sinn des Wortes.
☆ (nostalgia) (Hollis Frampton, 1971)
Kurzfilm, 38min, Engl. OV
Dieser Klassiker des strukturellen Films besteht aus eine Reihe von Schwarz-Weiß-Fotografien, die Hollis Frampton (1936–1984) während seiner frühen künstlerischen Erkundungen aufgenommen hat. Die Bilder verschwinden langsam indem sie Eins nach dem Anderen auf einer Heizplatte verbrennen, während Framptons Künstlerkollege Michael Snow einen erläuternden Text dazu vorliest. Jeder Kommentar ist zu hören, bevor das zugehörige Foto zu sehen ist. Was "vergangenen" und was "gegenwärtig“ ist, durchdringt und verunklärt sich dadurch zunehmend.
Corona Kino | Osterprogramm
☆ Ostern (Franz Winzentsen, D 1996)
Animation, 3:40 min, deutsche OV